Lösung für grosse Verschiebungen, worum geht es?

Im vorherigen Technical Tip mit dem Titel “Falsche Verschiebungsergebnisse für dünne Teile, aber warum?” hatten wir in einem letzten Schritt den Belastungsdruck absichtlich um das Doppelte erhöht. Prompt kam eine Meldung vom Solver, die uns Folgendes mitteilte:

 

In diesem Modell wurden übermässige Verschiebungen berechnet. Wenn Ihr System richtig begrenzt ist, ziehen Sie in Betracht, die Option Grosse Verschiebung zu verwenden, um die Genauigkeit der Berechnungen zu verbessern…

Mithilfe dieses Technical Tips werden wir genauer untersuchen, wann und warum die Option “Grosse Verschiebung” aktiviert werden sollte.

Hinweis: Dieser Tech Tips wurde mit SOLIDWORKS 2021 SP5 erstellt.

1. Überblick über lineare Analysen

Die lineare Theorie geht davon aus, dass die Verschiebungen klein sind. Die Steifigkeit der Struktur wird für ihre unverformte Form berechnet und es wird angenommen, dass sie unabhängig von der aufgebrachten Last konstant bleibt. Die Belastung wird daher in einem einzigen Schritt vollständig angewendet.

Eine lineare statische Analyse kann an einem Problem durchgeführt werden, wenn die folgenden Annahmen gelten:

  • Das Material ist linear elastisch, d. h. die Geometrie kehrt in ihre ursprüngliche Form zurück, wenn die Belastung weggenommen wird.
  • Die Verformungen sind im Vergleich zu den Abmessungen des Modells klein (grobe Faustregel: Wenn die Verformungen nahe an der Materialdicke liegen, dann sind die Verformungen gross).
  • Lasten und Spannungen werden konstant auf das Modell angewendet, ohne dass sich ihre Grösse oder Richtung ändert. Ausserdem werden durch die Belastungen keine separaten Teile miteinander in Kontakt gebracht (d. h. eine Kontaktfläche sollte während der Simulation auf keinen Fall ihre Form oder Grösse ändern).

 

Eine lineare statische Lösung ist hinfällig, wenn einer dieser Punkte nicht eingehalten wird. Die Beziehung zwischen Belastung (generalisierte Kraft) und Reaktion (generalisierte Verschiebung) wird dann nichtlinear und es muss eine nichtlinearer Analyse Typ durchgeführt werden, um genaue Ergebnisse zu Erhalten, die das tatsächliche Verhalten abbilden.

2. Was bedeutet die Option "Grosse Verschiebung" in SOLIDWORKS Simulation?

Der linear-theoretische Ansatz kann zu ungenauen Ergebnissen oder Konvergenzproblemen führen, wenn die oben erwähnten Annahmen nicht erfüllt sind.

In diesem Fall ist es möglich, die Lösung für Grosse Verschiebung zu verwenden. Diese ist zeitaufwendiger und verbraucht mehr Ressourcen als die Lösung der Kleinen Verschiebungen, liefert aber genauere Ergebnisse.

2.1 Welche Operationen führt der Solver aus?

Da die Lösung der Grossen Verschiebungen davon ausgeht, dass sich die Steifigkeit während der Belastung ändert, muss die Belastung schrittweise und gleichmässig aufgebracht werden, indem die Steifigkeit der Struktur für jeden Simulationsschritt aktualisiert wird. Die statische Studie wird also durch inkrementelle Belastung und Aktualisierung der Geometrie gelöst.

Wie bei den nichtlinearen Analysen wird auch bei der Option Grosse Verschiebung ein Autosteping-Algorithmus, aber auch die aktualisierte Lagrangesche Methode zur Auflösung und zur Bestimmung der Anzahl der Schritte verwendet.

Wenn Sie eine statische Analyse durchführen und alle Verschiebungen berechnet wurden, führt der Solver eine Überprüfung auf grosse Verschiebungen durch. Eine Warnmeldung (siehe Beispiel in Abschnitt 1) wird angezeigt, wenn die Anzahl der berechneten Verschiebungen zu gross ist.

Welche Überprüfungen führt der Solver durch?

  • Bei Modellen mit Stiftverbindungsgliedern prüft er, ob die relative Drehung (θ) innerhalb jedes Stiftverbindungsglieds klein ist. Eine Warnmeldung wird ausgegeben, wenn die relative Drehung θ grösser als 5° (Grad) ist.
  • Für alle Modelle prüft er die maximale Verlagerung (euklidische Norm) unter der Gesamtzahl der Nodes und vergleicht sie mit der charakteristischen Länge des Modells. Wenn das Verhältnis der maximalen Verschiebung zur charakteristischen Länge des Modells mehr als 10 % beträgt, wird eine Warnmeldung angezeigt. Die charakteristische Länge des Modells (L) wird wie folgt berechnet:

 

wobei:  Xi, Yi und Zi die Koordinaten des Nodes i sind; c, Yc und Zc sind die Koordinaten der Modellgeometriemitte; und N ist die Gesamtzahl der Nodes im Modell.

2.2 Einschränkungen

 

  • Im Gegensatz zu nichtlinearen Studien wird es nur möglich sein, die Ergebnisse erst im letzten Schritt zu sehen, was der Vollbelastung entspricht.
  • Um grosse Verformungen und die Nichtlinearität von Materialien zu behandeln, ist eine umfassende nichtlineare Analyse erforderlich.
  • Der Anfangswert der %-Belastung und das zeitliche Inkrement der %-Belastung werden intern vom Programm bestimmt und der Benutzer hat keine Kontrolle darüber (anders als bei nichtlinearen Analysen).
  • Beachten Sie, dass, wenn zu irgendeinem Zeitpunkt das vom Solver benötigte zeitliche Inkrement unter 0,01% fällt, der Fehler “Lastinkrementbericht <0,01%” erscheint. Es gibt keine Möglichkeit, die Analyseparameter zu ändern, um die Analyse bis zum Ende zu unterstützen, da der Benutzer keine Kontrolle darüber hat, wie die inkrementelle Lösung in der statischen Analyse durchgeführt wird. Dann muss eine nichtlineare Analyse durchgeführt werden, um die Möglichkeit zu haben, die Parameter zu ändern und die Analyse zum Abschluss zu bringen.
  • Die Lösung der grossen Verschiebung funktioniert nicht mit:
    • Konnektoren vom Typ Schweisspunkte und Verbindungen.
    • Balkenvernetzung und gemischte Vernetzungen, die Balken verwenden.
    • Lasten/Abgesetzte Masse
    • Starre Körper
    • Die Option Freie Körperkraft überprüfen im Statik-Dialogfeld in den Eigenschaften (die Software ignoriert diese Option).

3. Vergleich der Verformungsergebnisse unseres Blechteils

Sehen wir uns nun die Ergebnisse mit und ohne Aktivierung der Option Grosse Verschiebung genauer an.

Hinweis: Wenn Sie bereits wissen, dass die Struktur anfällig für grosse Verformungen ist, können Sie die Option vor Beginn der Lösung in den Studienkomponenten aktivieren:

Hinweis auf die Geometrie und die Randbedingungen unseres Blechteils, das im späteren Technical Tip verwendet wird.

Das untersuchte Teil weist eine Dicke von 1,5 mm auf. Hier finden Sie die Geometrie und die Abmessungen:

 

Material: S235JR

Belastung: Vertikal angewandter Druck von 0,04 N/mm2 normal zur Fläche.

(rote Pfeile)

Typ der für die Vernetzung verwendeten Elemente:  Schalenelement der 2. Ordnung

Einschränkungen: Alle Freiheitsgrade auf den Flächen mit grünen Pfeilen gesperrt.

Lösungszeit:

Lineare Statik ohne Grosse Verschiebungs-Option:

Mit aktivierter Grosse Verschiebungs-Option:

Vergleichsergebnis der Verformung entlang des folgenden ausgewählten Segments:

Wir erhalten einen beträchtlichen Unterschied in der maximalen Verschiebung unseres Blechs in der Grössenordnung von +27,8 mm ohne die Verwendung der Option Grosse Verschiebung!

Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Änderung der Steifigkeit der Struktur (der “Trommelfell”-Effekt) bei der Anwendung der Last nicht nachjustiert und nicht berücksichtigt wird.

Um die Untersuchung weiter voranzutreiben, wurde eine nichtlineare statische Analyse mit den gleichen Definitionen der Randbedingungen und der gleichen Grössenordnung der Vernetzungselemente berechnet. Die Verschiebungsergebnisse sind im Wesentlichen dieselben wie bei der Linearen Statischen Analyse Option Grosse Verschiebung, allerdings bei einer Lösungszeit von 03:21s.

4. Fazit

Wenn SOLIDWORKS Simulation während einer linearen statischen Analyse eine grosse Verschiebung in Ihrem Berechnungsmodell feststellt, müssen Sie wie folgt vorgehen:

  1. Prüfen Sie, ob das Modell zunächst unterbestimmten ist, d. h. ob Freiheitsgrade an bestimmten Nodes nicht gesperrt sind.
  2. Überprüfen Sie die Werte der angewandten Belastungen, ob sie mit den gewünschten übereinstimmen.
  3. Gehen Sie eventuell die Querschnitte der in der Vorlage vorhandenen Geometrien durch und prüfen Sie, ob einige davon unterdimensioniert sind.
  4. Wenn alle vorherigen Punkte korrekt sind, starten Sie abschliessend die Auflösung zunächst ohne die Option Grosse Verschiebung und dann in einem zweiten Schritt mit Grosse Verschiebung.

 

Je nach Art des Problems oder bestimmten Einschränkungen, die oben erwähnt wurden, kann es notwendig sein, eine nichtlineare Analyse durchzuführen.

Wir hoffen sehr, dass Ihnen dieser Technical Tip dabei hilft, zu beurteilen wann und warum die Option “Grosse Verschiebung” aktiviert werden sollte.

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  • Haben Sie Vorschläge für einen Technical Tip?

 

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Autor des Artikels

Emmanuel Kolb, Application Engineer bei Visiativ Switzerland

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